Herr Bieger, die HSG investiert in den kommenden Jahren in die Digitalisierung. Warum?
Die Universität hat hier vier Aufgaben: Erstens müssen wir sicherstellen, dass unsere Absolventinnen und Absolventen die Kompetenzen erlangen, die sie auf dem Arbeitsmarkt benötigen. Zu diesem Zweck starten wir ab Herbst 2017 ein Pilotprojekt mit dem Namen «Data Science Fundamentals». Im Rahmen dieses Zertifikatsprogrammes sollen sich die Studierenden Basiswissen im Bereich «Data Science» aneignen sowie die Fähigkeit entwickeln, «datengetriebene» Projekte in Unternehmen und Organisationen mitzugestalten. Zweitens müssen wir in der Forschung die neuen Methoden nutzen, die sich durch die Digitalisierung ergeben. Denn der Umgang mit «Big Data» stellt für die sozialwissenschaftliche Forschung einen grossen Schritt dar, weil sich im Internet anhand enorm vieler Spuren das menschliche Verhalten ablesen lässt. Ab 2018/2019 wollen wir dazu mit vier neuen Lehrstühlen im Gebiet «Information Science» ergänzende Methodenkompetenz (Software, Algorithmen, Datenbanken, künstliche Intelligenz) in der Forschung sowie entsprechende Lehrkapazitäten sichern. Drittens müssen wir als Universität weitere neue Lehr- und Lernformen entwickeln, die die neuen Medien nutzen. Und die vierte Aufgabe einer Universität ist es, dass sie die Entwicklung der Digitalisierung, die einschneidende Effekte für die Gesellschaft hat, kritisch begleitet.
Zudem prüft die HSG auch noch einen Studienschwerpunkt Informatik?
Eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell (IHK) kam im April 2017 zum Schluss, dass der Aufbau eines Studienschwerpunkts Informatik auf Bachelor- und Master-Stufe, der Informatik und Wirtschaft verbindet, machbar und für die HSG und die Region sinnvoll ist. Der Aufbau eines allfälligen Studienschwerpunkts mit zusätzlichen vier bis fünf Lehrstühlen ist nun durch die Politik zu beurteilen. Sollten sie die Mittel dafür sprechen, könnte daraus längerfristig eine eigene School entstehen.
Herr Kölliker: Auch der Kanton treibt eine Informatik-Bildungsoffensive voran. Soll denn künftig jedes Schulkind programmieren können und wenn ja: Warum?
Ja, aber auf zwei Ebenen: Professionell programmieren können müssen Informatikerinnen und Informatiker. Davon haben wir zu wenige. Um hier Abhilfe zu leisten, konnten wir teilweise schon Massnahmen in Form der Informatik-Mittelschulen ergreifen und weitere sind mit der Informatik-Bildungsoffensive geplant. Künftig sollte jedes Kind ab Primarschulstufe verstehen, was Programmieren heisst. Wie die Gesetzmässigkeiten der Informatik funktionieren, soll zu einer Kulturtechnik werden wie Schreiben und Rechnen.
Herr Kölliker: Voraussichtlich in 2019 wird die St.Galler Bevölkerung über die Erweiterung der Universität St.Gallen am Platztor abstimmen können. Was bringt diese räumliche Entwicklung der HSG dem Kanton?
Primär geht es darum, der HSG, die aus allen Nähten platzt, wieder Luft zu verschaffen. Mit einem neuen Campus für rund 3000 Studierende auf dem Areal «Platztor» am Unteren Graben können wir hier einen grossen Beitrag leisten. Auch wird die HSG dadurch in der Stadt spürbarer und kommt zu ihren Wurzeln zurück. Die Universität ist zudem ein wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor: Die HSG leistete im Jahr 2015 einen Wertschöpfungsbeitrag von 237 Millionen Franken an die Region Appenzell AR – St.Gallen – Bodensee. Das sind 820 Franken pro Einwohner. Mit dem Ausbau der Universität sichern wir ihr die entsprechende Entwicklung an diesem Standort.
Herr Bieger: Und warum ist dieser Campus-Ausbau für die HSG so wichtig?
Wir haben in der bestehenden Infrastruktur derzeit Platz für 5000 Studierende, in der Bibliothek nur für 3500 Studierende. Dies bei heute über 8300 Studierenden. Wir müssen somit die offensichtlichen Kapazitätsengpässe beseitigen. Die Universität St.Gallen ist zudem einem internationalen Wett-bewerb ausgesetzt. Wir benötigen daher auch die Infrastruktur, mit der wir die hohe Qualität in Lehre und Forschung aufrechterhalten und damit auch talentierte Studierende und herausragende Dozierende anziehen können.
Herr Bieger: Wenn Sie nach vorne blicken: wo liegen die grössten Herausforderungen?
Zu allererst müssen wir in unserem Kerngeschäft – in Lehre und Forschung – sicherstellen, dass wir unsere Qualität halten können. Denn andere Standorte und viele ausländische Privatuniversitäten investieren hier viel Geld. Dazu benötigen wir das Engagement von Dozierenden, Studentenschaft, Verwaltung und Alumni. Des Weiteren sind wir insbesondere auf die Bevölkerung angewiesen, damit sie uns auf diesem Weg weiterhin das Vertrauen schenkt und Investitionen in ihre einzige Universität ermöglicht.
Herr Kölliker: Welche Ziele will der Universitätsrat in den kommenden Jahren erreichen?
Einerseits geht es darum, dass wir der Bevölkerung aufzeigen können, dass die Notwendigkeit für den Joint Medical Master, die Digitalisierung sowie die Erweiterung der HSG besteht. Und wenn wir hoffentlich die Zustimmung für diese Projekte erhalten, folgt dann die konkrete Umsetzung. Andererseits haben wir im kommenden Jahr die Aufgabe, einen für die HSG guten neuen Leistungsauftrag für die Jahre 2019–2022 vorzubereiten